Mittwoch, 6. Februar 2013

Der Plan des Tormanns vorm Elfmeter

Selbst wichtige Matches sollen manipuliert worden sein, sagen Experten. Was steckt hinter dem Wettskandal?

Recherche: Christoph Heshmatpour, Daniel Nutz

Das Geschäft läuft gut“, sagt der Mann hinter der Kassa. Von der Meldung, wonach Fußballspiele von einer „Wettmafia“ in zahlreichen Ländern manipuliert worden sein sollen, lässt sich die Kundschaft eines großen Wettcafés in Kagran nicht aus der Fassung bringen. Auf 30 Bildschirmen laufen gleichzeitig Übertragungen von unterschiedlichen Sportereignissen. Robuste Männer mit fahlen Gesichtern versuchen, sowohl Fernsehbilder als auch die Quoten für die anstehenden Wetten im Auge zu behalten. Gesprochen wird hier kaum. Gewettet auf fast alle Sportarten – 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche.

Am beliebtesten sind Wetten auf Fußball, wo drei Viertel aller Einsätze platziert werden. 3,8 Milliarden Euro setzt die Sportwetten-Branche heuer in Österreich um. Die Onlineanbieter befinden sich dabei im Vormarsch. Und in den vergangenen Jahren drängten auch immer mehr Unternehmen aus Asien auf den Markt.

Herr K. verschickt die Ergebnisse

In einem Stadion im Süden Wiens sitzt Herr K. Über eine spezielle Handysoftware notiert er Tore, Ausschlüsse und andere Besonderheiten und schickt sie laufend an seinen Auftraggeber, die Grazer Firma Runningball, weiter. „Die 50 Euro pro Partie sind relativ leicht verdientes Geld“, sagt er.

Runningball verkauft die Daten an Wettanbieter aus aller Welt weiter. Ins Blickfeld geriet das Unternehmen, als die Grazer Staatsanwaltschaft vergangene Woche in die Büroräumlichkeiten zur Hausdurchsuchung anrückte. Die Geschäftsführung beteuert, mit dem Wettskandal nichts zu tun haben.

Nachdem heutzutage auf bereits laufende Spiele noch diverse Wetten abgegeben werden können, spielt der Faktor Informationsübermittlung für die Buchmacher eine entscheidende Rolle. „Wenn ein Kunde die Information über ein Tor oder eine Rote Karte vor mir hat, macht er todsicher einen Wettgewinn“, erklärt Werner Reinwald, Buchmacher beim Online-Wettanbieter Interwetten.com. Wird zum Beispiel ein Kicker ausgeschlossen, könnten Zocker schnell auf eine Rote Karte setzen, bevor der Buchmacher von dem Ereignis erfährt.

Reinwalds Unternehmen bietet daher nur Livewetten zu Events an, bei denen es auch Fernsehbilder gibt. Gibt es zu einem Ereignis keine TV-Bilder, kommen Leute wie Herr K. ins Spiel. Dienstleister wie Runningball versorgen die Buchmacher mit den nötigen Informationen, damit diese eine Wette anbieten können. Dass der eine oder andere Kunde manchmal schneller zu Informationen kommt und diese in einen Wettgewinn ummünzt, haben die Buchmacher dabei einkalkuliert.

Ein unkalkulierbares Risiko stellen freilich Spielmanipulationen dar, wie sie seit vergangener Woche wieder einmal im Raum stehen. Bei mehr als 200 Spielen in ganz Europa sollen Spieler und Schiedsrichter bestochen und überWetten auf die manipulierten Spiele beträchtliche Gewinne eingefahren worden sein.

Die Empörung ist stets groß, doch tatsächlich sind Wettbetrug und Spielmanipulationen eine Konstante des Fußballgeschäfts. Die Skandale wie jene um den deutschen Schiedsrichter Robert Hoyzer und den italienischen Fußballmanager Luciano Moggi sind die prominentesten Fälle der vergangenen Jahre. Und es ist gar nicht so lange her, dass auch in Österreich schwere Anschuldigungen gegen Akteure eines der größten Fußballclubs des Landes erhoben wurden.

Es war im Frühling 2006. Der steirische Polizist Josef Klamminger ruft unter dem Titel „Großer Wettbetrug überschattet SK Sturm“ kurzfristig zu einer großen Pressekonferenz. Vor versammelten Medien bezichtigt er Trainer Michael Petrovic und den versierten serbischen Spielmacher Bojan Filipovic, zwei Ligaspiele von Sturm Graz an Spielmanipulatoren verkauft zu haben. Allerdings hat Sturm keine der beiden Partien verloren, Filipovic schoss sogar ein Tor.

Der Skandal kommt nach Österreich

Klamminger beruft sich auf Hinweise aus Deutschland, die aus den Ermittlungen rund um den Fall Robert Hoyzer stammen. Dieser wurde wegen Beihilfe zum Betrug zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, sonst aber wird nach umfangreichen Ermittlungen kaum jemand belangt.

Auch in Graz wird jahrelang ermittelt, das Verfahren verläuft jedoch im Sand, heuer wurde es eingestellt. „Die Sache ist für mich erledigt“, brummt Klamminger heute. „Das Verfahren ist abgeschlossen. Ich werde sicher nichts sagen, das den Anschein erwecken könnte, dass die Geschichte von damals mit den aktuellen Entwicklungen irgendetwas zu tun hat. Es könnten falsche Schlüsse gezogen werden.“

Für Interwetten.com-Geschäftsführer Wolfgang Fabian sind die unausreichenden Konsequenzen aus der Affäre um Schiedsrichter Robert Hoyzer der Grund, warum nun ein noch größerer Wettskandal ins Haus stehen könnte. „Wenn bei asiatischen Anbietern auch Menschen aus Europa anonym, ohne Limits und bei illegalen Anbietern auf Sportevents wetten können, haben Betrüger ein leichtes Spiel.“

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der Berliner Wettcafébesitzer Ante Sapina – einer der Drahtzieher im Fall Hoyzer – auch in der aktuellen Wettaffäre eine zentrale Rolle spielen soll. Manipulation und Betrug scheinen tief im Fußball verwurzelt zu sein.

Das Problem ist größer als die aktuell 200 verdächtigen Spiele. Die mit dem Wettskandal befasste Bochumer Staatsanwaltschaft spricht von der „Spitze des Eisbergs“. Der kanadische Autor Declan Hill – er promovierte über Fußball und organisiertes Verbrechen – hat in seinem Buch „The Fix“ (auf Deutsch: „Sichere Siege“) schon im vergangenen Jahr vor einem „Tsunami der Spielmanipulation durch asiatische Kriminelle“ in Europa gewarnt. Selbst die größten Fußballbewerbe der Welt sollen nicht vor verschobenen Partien sicher sein, gar vier Spiele der Fußball-WM in Deutschland 2006 nennt Hill als verdächtig. Das ist nicht bewiesen, Hill stützt sich auf Indizien, einen Manipulator, der ihm die Ergebnisse dieser Partien vorausgesagt hätte.

Das weist auf ein großes Problem hin: Woran erkennt man ein manipuliertes Spiel? Das ist kaum möglich, wenn es nicht jemand offen zugibt. Selten sind alle Spieler eingeweiht. Wenige Spieler in Schlüsselpositionen reichen – der Torwart vor allem, oder der Starstürmer. Der Goalie wird dann zum Beispiel bei einem Schuss schlecht stehen, der Torjäger vielleicht im Ballbesitz ein wenig zögern, damit die Verteidiger die Situation klären können, schreibt Hill.

Betrug kaum nachzuweisen

Deshalb verwundert es nicht, wenn die Spieler und Funktionäre von Rapid Wien meinen, sie hätten von Manipulationen in den vom Europäischen Fußballverband als dubios eingestuften Spielen gegen die albanische Mannschaft Vlaznia Schkodra nichts bemerkt. Rapid hatte die Qualifikationsspiele für die Europa League 5:0 und 3:0 gewonnen, aber gegen die Albaner waren die Wiener sowieso Favorit. So gehen die Manipulatoren laut Hill oft vor: Sie setzen auf Favoritensiege vor allem in Frühphasen angesehener Bewerbe wie der Europa League, in denen Mannschaften relativ bestechlich sind. Die Warnsysteme der Wettanbieter – sie schlagen Alarm, wenn Volumen von Wetten verdächtig hoch sind – erkennen in dem Fall kaum Unregelmäßigkeiten.

Die Empörung um den Wettskandal ist groß, doch bald sind die Geschichten vergessen. So wie Luciano Moggi, Ante Sapina oder Robert Hoyzer Figuren aus einer vergangenen Welt zu sein schienen. Der Zirkus geht weiter, wie immer, und finstere Gestalten werden versuchen, ihn zu manipulieren. Der nächste Tsunami kommt bestimmt.

"Falter" Nr. 49/09 vom 02.12.2009 Seite: 48
Ressort: Stadtleben


Literaturtipp:
Declan Hill: Sichere Siege. Fußball und organisiertes Verbrechen. Kiepenheuer und Witsch, 416 S., € 15,40