Mittwoch, 30. Januar 2013

Über die Ski-Weltmeisterschaft


Es ist also wieder einmal Ski-Weltmeisterschaft, und allerorts wird so getan, als sei das wichtig. Aber sprechen wir es aus, auch wenn die Kronen-Zeitung und das staatliche Fernsehen anderes behaupten: Eine Ski-Weltmeisterschaft ist so ziemlich das wertloseste Sport-Ereignis der Weltgeschichte.


Welchen Sinn hat es, alle zwei Jahre ein beliebiges Rennen auf einem beliebigen Berg mitten in der Saison zur „Weltmeisterschaft“ zu erklären? Der Weltcup findet den ganzen Winter über statt, die besten Skifahrer der Welt messen sich mehrmals wöchentlich im Wettkampf, und am Ende wird zusammengezählt, wer über das Jahr die konstanteste Leistung geboten hat. Wir haben schon eine echte Weltmeisterschaft: Sie nennt sich Weltcup. Und diese geht uns sowieso schon genug auf die Nerven. Wie oft pro Winter muss "How I Met Your Mother" dem Riesentorlauf der Damen aus einem verlassenen Alpendorf weichen? Und warum?

Irgendwann mitten in der Saison wird gesagt: Wer heute gewinnt, der ist Weltmeister. Das erinnert an Volksschulkinder, die Fußball spielen. Wenn die schlechtere Mannschaft müde wird und nachhause gehen will, weil sie die Niederlage deprimiert, haben die stärkeren Kinder ein verlockendes Angebot: „Das nächste Tor gewinnt.“ Also werfen sich alle noch einmal mit aller Kraft in die Schlacht, versuchen, trotz der ständigen Überlegenheit der Besseren ein entscheidendes Tor zu schießen, um doch noch als Sieger aus dem Spiel hervorzugehen, obwohl sie objektiv schlechter sind.

Nach genau diesem Muster läuft die Ski-Weltmeisterschaft ab. Anfang Februar hat der überwiegende Großteil der Weltcup-Teilnehmer keine Chance mehr auf eine gute Platzierung. Also wird mit der Weltmeisterschaft eine Möglichkeit geschaffen, die jeden und jede völlig zufällig an die Spitze der Ski-Welt spülen kann. Wer erinnert sich überhaupt noch an den kanadischen Abfahrts-„Weltmeister“ John Kucera, der in Val d’Isère 2009 gewann, obwohl er vorher noch nie in einem Weltcup-Rennen auf dem Podest gestanden war? Heißt das, dass Mister Kucera der beste Abfahrer seiner Zeit war? Natürlich nicht. Außerdem war sein Erfolg dadurch begünstigt, dass der Großteil der anderen Fahrer durch eine Nebelsuppe fahren musste, während er zufällig freie Sicht hatte. Trotzdem ist Kucera nun ein „Weltmeister“.

Aber was ist das wert? Und was ist der Weltmeistertitel von anderen One-Hit-Wonders wert? So nichtssagende Namen wie Mélanie Turgeon (Abfahrt St. Moritz 2003), Zali Steggall (Slalom Beaver Creek 1999) oder Urs Lehmann (Abfahrt Morioka 1993) zählen zu den Weltmeistern der vergangenen zwei Jahrzehnte. Zu Recht haben wir sie längst vergessen. Sie sind die Lou Begas und Las Ketchups der Ski-Welt.

Man könnte den Spieß aber auch umdrehen. Ein weiterer Vorschlag aus der Welt des Kindersports: Machen wir doch einfach alle Sieger zu Weltmeistern! Wenn jedes einzelne Skirennen zu einer eigenen Weltmeisterschaft erklärt wird, besteht für viel mehr Menschen die Möglichkeit, einmal Weltmeister zu werden. Irgendwann gewinnt jeder einmal ein Rennen, Zufallssieger gibt es nämlich nicht nur bei Weltmeisterschaften. So wird der Skizirkus zum ausufernden Schulsportfest, wo auch für das unbeweglichste und dickste Kinder ein Bewerb dabei ist, in dem es sich eine Medaille abholen kann. Gell, Patrick Ortlieb?

Nun kann eingewandt werden: Warum immer so negativ? Es haben doch alle Sportarten Weltmeisterschaften! Und natürlich lautet der Gegen-Einwand: Auch Weltmeisterschaften im Bobfahren, Langlaufen oder Skispringen sind völlig wertlos. Weltmeisterschaften in allen Sportarten, in denen die Besten der Welt sowieso wöchentlich gegeneinander antreten, dürfen getrost abgeschafft werden. Der Unterschied: Schwimmer und Leichtathleten bereiten sich getrennt voneinander in kleinen Rennen auf das entscheidende Treffen bei der Weltmeisterschaft vor, Fußball-, Handball- oder Eishockey-Mannschaften qualifizieren sich in einem aufwendigen Qualifikationsprozess für das große Turnier. Doch es wird schon einen Grund geben, warum zum Beispiel im Profi-Tennis keine Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Weil sie keiner braucht, zum Beispiel.